Einführungsbeitrag zu E DIN 6803-1: Dosimetrie für die Photonen-Brachytherapie
In Kürze erscheint im Beuth-Verlag der Entwurf DIN 6803 Dosimetrie für die Photonen-Brachytherapie, Teil 1: Begriffe, zu dessen Einführung dieser Beitrag dient.
Begriffe - sowohl Begriffsdefinitionen als auch Begriffs-Benennungen - sind eine Grundlage der Verständigung in der klinischen Dosimetrie. Die in der Dosimetrie für die Photonen-Brachytherapie benötigten Begriffe waren bisher nur in verhältnismäßig sparsamem Umfang in den Normen der Reihen DIN 6814 und DIN 6800 vorhanden. Die bisherige Norm für die Dosimetrie in der Photonen-Brachytherapie, DIN 6809-2:1993, enthält noch nicht die aktuellen Entwicklungen. Daher hat der Arbeitsausschuss 1 Dosimetrie des DIN-Normenausschusses Radiologie (NAR) beschlossen, eine neue Normen-Reihe DIN 6803 Dosimetrie für die Photonen-Brachytherapie zu erarbeiten (Projektleiter: PD Dr. T. W. Kaulich). Deren Teil 1: Dosimetrie für die Photonen Brachytherapie - Begriffe (Projektleiter: Prof. Dr. U. Quast) erscheint jetzt als Norm-Entwurf. Die Teile 2: Strahler, Strahlerkalibrierung, Strahlerprüfung und Dosisberechnung (Projektleiter: PD Dr. T. W. Kaulich) und Teil 3: Dosismessungen und in-vivo-Dosimetrie (Projektleiter: Dr. F. Hensley) sind in Vorbereitung. Der folgende kurze Überblick über Themen der Normen-Reihe DIN 6803 soll einen Eindruck von der Vielfalt der Begriffe vermitteln, die in dem neu erscheinenden Entwurf zu DIN 6803-1 zusammengefasst sind.
Etwa 10% aller Tumor-Strahlenbehandlungen werden mit Photonen-Brachytherapie durchgeführt, meist in Afterloading-Techniken. Zur Anwendung kommen insbesondere die hochenergetischen (HE) Photonen-Brachytherapie-Strahler 192Ir und 60Co unter hoher Dosisleistung (HDR) am Dosis-Referenzpunkt oder die niederenergetischen (LE) Brachytherapie-Photonen-Strahler 125J und 103Pd - als Seeds mit niedriger Dosisleistung (LDR) am Dosis-Referenzpunkt - zur interstitiellen Brachytherapie (z.B. des Prostata-Karzinoms) und zur Augentumor-Brachytherapie. Zunehmend werden zur HDR-Brachytherapie auch elektronische Brachytherapie-Röntgenstrahler eingesetzt.
Als Primärstrahlung wird in der Photonen-Brachytherapie diejenige Photonenstrahlung bezeichnet, die den Strahler verlässt und ohne Wechselwirkung im Umgebungsmaterial den Messort erreicht. Die Primärspektren der Photonen-Brachytherapie-Strahler sind i.A. sehr breit. Das Spektrum der insgesamt am Messort ankommenden Photonenstrahlung wird zusätzlich zur Primärstrahlung durch die den Messort erreichende Streustrahlung aus dem Umgebungsmedium geprägt. Bisherige Dosisberechnungs-Algorithmen basieren meist auf den Empfehlungen der AAPM TG-43:1995, 2004, und gehen von der Voraussetzung aus, dass nur ein einzelner Punktstrahler in einem unendlichen Wassermedium vorhanden ist. Die hiermit verbundene Annahme "vollständiger Rückstreuung" kann - z.B. bei der Brachytherapie von Brusttumoren - zu erheblichen Abweichungen der berechneten von der tatsächlichen Dosis führen. Neue, genauere „model-based“ Dosisberechnungsalgorithmen wie Monte-Carlo-Simulation, Faltungsmethoden ("scatter kernel superposition methods" und "collapsed cone superposition algorithms") sowie numerische Lösungen der Transportgleichung (wie z.B. "grid-based Boltzmann equation solvers") ermöglichen die Berücksichtigung von Gewebeinhomogenitäten und Applikatoren sowie die getrennte Berücksichtigung der Dosisbeiträge von Primärstrahlung und Streustrahlung. Strahler-Referenzdaten klinisch genutzter Strahlertypen, ihre Primärspektren, die nach Primär- und Streudosis-separierten (PSS) Dosis-Daten, die TG-43-Parameter zur Dosisberechnung, der Aufbau von Strahlertypen usw. finden sich in AAPM- und ESTRO-Datenbanken.
Hinsichtlich der Kalibrierung der Photonen-Brachytherapie-Strahler hat ein Paradigmenwechsel von der "reference air kerma-rate" RAKR, zur Kenn-Wasser-Energiedosisleistung Dw,1 am AAPM-TG-43 Referenzpunkt stattgefunden. Durch geeignete Sekundär- und Transfer-Normale (z.B. Schacht¬kammern und Detektor-Phantom-Anordnungen, DPA) kann die Kalibrierung einzelner Strahlertypen rückführbar auf Dw,1-Primärnormale in die Klinik übertragen werden.
Typische Dosimetrie-Detektoren für die Photonen-Brachytherapie sind Plastik-Szintillationsdosimeter (PSD), Thermolumineszenzdosimeter (TLD), Radiochromfilme, kleinvolumige Ionisationskammern, Flüssig-Ionisationskammern, optisch stimulierte Lumineszenzdosimeter, Diamant-Dosimeter und Si-Dioden. Zur Beschreibung der Energieabhängigkeit des Ansprechvermögens dieser Detektoren wird die Strahlungsqualität durch Angabe der mit der spektralen Fluenz der Photonen gewichteten mittleren Energie E ̅_F am Messort charakterisiert. Das Ansprechvermögen R wird als Quotient aus der vom Detektor-Material aufgenommenen Energiedosis DDet und der Wasser-Energiedosis Dw, multipliziert mit dem Quotienten aus der Anzeige M und der Energiedosis DDet, beschrieben. Der Faktor M / DDet, das intrinsische Ansprechvermögen, kann von weiteren Einflussgrößen abhängig sein, bei Plastik-Szintillationsdosimetern oder TLD-Detektoren z.B. vom LET der Sekundärelektronen der Photonenstrahlung. Das intrinsische Ansprechvermögen lässt sich vorläufig noch nicht durch Monte-Carlo-Simulation erfassen.
Die Mitteilung über die Veröffentlichung des Norm-Entwurfes DIN 6803-1 finden Sie auf der Webpage des NAR unter www.din.de/go/nar oder im Normanzeiger der Zeitschrift "DIN-Mitteilungen". Der Norm-Entwurf ist unter www.beuth.de beziehbar, kann jedoch auch unter http://www.entwuerfe.din.de kostenlos eingesehen und kommentiert werden. Ihre Kommentare werden auch direkt von der NAR-Geschäftsstelle unter nar@din.de entgegengenommen.
Ulrich Quast, Theodor W. Kaulich, Dietrich Harder, Klemens Zink, Bernd Seidel